16 Jahre Wartezeit und plötzlich stand es zum Download bereit. Die letzte Episode. Rund eine Woche Vorbereitungszeit gab uns Dr. Dre zwischen Ankündigung und Bereitstellung seines finalen Albums „Compton: A Soundtrack by Dr. Dre“.
„$uccess by Dre“ titelt derzeit der Business Punk in seiner aktuellen Ausgabe und nimmt Bezug auf die unglaubliche Geschichte des Andre Young. Vom jungen Hobby-DJ im gefährlichsten Stadteil Amerikas, in die Chefetage vom Multimillionenkonzern Apple. Eine klassische, amerikanische „Tellerwäscher-Geschichte“ mit der sich wahlweise Bücher, Filme oder Tonträger füllen lassen. Mit „Compton: A Soundtrack by Dr. Dre“ presst Dre seine Geschichte in 16, natürlich exklusiv über iTunes erhältliche, Mp3-Dateien. Ein Track für jedes Jahr Wartezeit. Dre nimmt Abschied vom Hip-Hop-Spiel und seiner 30 jährigen Karriere.
Das Album folgt der klassischen Dre-Formel. Eine Vielzahl an hochkarätigen Gastzeilen, hungrige Newcomer und herausragende Produktionen. Letzteres macht das Album zu einem ernsthaften Kandidaten für die Best of-Listen 2015. Zur Abschiedssause eingeladen sind sowohl die alten Weggefährten wie Eminem, Ice Cube, Snoop Dogg, Xzibit, COLD 187um und The Game, als auch die neuen Hoffnungsträger aus dem Dre-Umfeld wie Kendrick Lamar, King Mez und Jon Connor.
Auf das obligatorische Intro im Breitbildformat folgt eine kurze Einleitung die die Geschichte der 26.202 km² umfassenden Stadt vertont und erklärt wie Compton zum Elendsbezirk wurde. Im Anschluss geht es rund. Ein junger und hungriger King Mez eröffnet das Album bevor Dre die Dinge klarstellt und mitteilt, dass er trotz seiner 50 Jahren noch jung genug ist um mitzuspielen.
I just bought California […] The world ain’t enough, I want it all. God dammit, I’m too old, I forgot I got it all, but Andre young enough to still get involved – „Talk About It“
Und genau hier schwächelt das Projekt. Obwohl Dre es zu jeder Zeit schafft mit seinen Fähigkeiten als Produzent zu glänzen, drückt der Schuh im Textlichen. Der Druck der Fans, doch noch einmal aus dem Bürostuhl in Cupertino aufstehen zu müssen, um es der Jugend zu beweisen, führt zu einem gewissen Trotz. Nostalgisch lächerlich wird es ferner wenn Dre und die Veteranen auf „Loose Cannons“ von geladenen Magazinen und Waffen neben dem Bett erzählen. Was im heutigen Compton passiert müssen mir die Hip-Hop-Unternehmer Dre und Xzibit nicht mehr erzählen. Dre’s Alltag sieht anders aus.
Von der alten Garde spielen insbesondere Snoop und Game in ihren Gastbeiträgen frei auf. Der Hundevater klingt auf seinen Gastbeiträgen mal hungrig wie nie („One Shot One Kill“) und mal losgelöst („Satisfiction“). Game fährt auf „Just Another Day“ zur Höchstform auf und wird mit einem der stärksten Beats des Projektes belohnt. Ein Beat, der mit großer Wahrscheinlichkeit noch für viele „Freestyles“ in den kommenden Wochen sorgen wird. Man vergisst förmlich, dass „The Documentary“ bereits vor 10 Jahren aufgenommen wurde und das Verhältnis Game-Dre lange Zeit auf Eis lag. König Kendrick nutzt seine Features ebenso um zu glänzen und schießt nebenbei noch subliminal in Richtung Toronto: „Motherfucker know I started from the bottom [..] They liable to bury him, they nominated six to carry him [..] The beef is on his breath, inheriting the drama better than a great white n****, this is life in my aquarium“.
Der junge LA Sänger Anderson .Paak trällert einen Großteil der Hooks auf der Platte und meistert seine Aufgabe zu großen Teilen mit Bravur. Besonders gut gelingt die Kombination aus Dre und der schmerzverzogenen Stimme Paaks auf „Animals“, einer DJ Premier-Co-Produktion (!) die sich der aktuellen Debatte der Polizeigewalt in den USA bedient.
Gemessen an einer über 16 Jahre gereiften Erwartungshaltung scheitert das Album kläglich. Vernachlässigt man diese jedoch bildet „Compton: A Soundtrack by Dr. Dre“ einen großartigen Abschied der den Dre-Sound ohne Kompromisse ins Jahr 2015 transferiert. Es schließt die musikschaffende Phase des Andre Young sinnvoll ab. Revolutionär wie seine Vorgänger ist das Album jedoch nicht.
Stream + Download: „Compton“ by Dr. Dre (via iTunes)
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Eine zweite Meinung zum neuen Dre Album gefällig? Hier findet ihr Gilbert’s Review zum neuen Dr. Dre Album.