Can’t Leave Rap Alone, The Game Needs Me
Trotz geschätzter 800 Mio $ auf dem Konto, einer erfolgreich wie unweigerlich attraktiven Ehefrau, drei Kindern und einer Vielzahl von Geschäften, denen der 47-jährige Sean Carter nachgeht, geht der Großverdiener nicht in Rap-Rente und veröffentlicht mit „4:44“ ein neues Album.
Warum aber schon wieder raus aus dem Bordmeeting und rein ins Studio? Wo findet man als Emcee nach 12 Alben mit Bestplatzierung die Motivation für Album Nummer 13? Eine Antwort auf die Frage gab Jay möglicherweise bereits im Jahr 2001 mit der Zeile:
Eine Aussage, die heute vielleicht zutreffender ist, als jemals zuvor. In Zeiten, in denen Snapchat-Stories, einprägsame Hooks auf Trap-Beats und nahezu Comic-artige Charaktere das Rap-Spiel dominieren, besinnt sich Jay auf das Wesentliche. Mit „4:44“ schwimmt Hov gegen den Strom: Kaum Features, kein Trap, kein Autotune und nur 10 Tracks. Jigga solidarisiert sich mit Künstlern wie Kendrick, Cole und Badass.
No I.D. On The Track, Let the Story Begin
Anstatt sich mit aktuellen Superproduzenten wie Mike Will Made-It oder Metro Boomin ins Studio einzuschliessen und aktuellen Erfolgsformeln zu folgen, wird das Soundbild ausschließlich vom legendären No I.D. aus Chicago (Common, Kanye West, Nas, Big Sean) bestimmt und gewinnt dadurch sowohl an Tiefe wie Kohärenz. Keine Stadionhymne für den Madison Square Garden und kein Club-Kracher für die Dorf-Disco. Der Sound ist mehr „Donuts“ als „Empire State of Mind“. Alles reduziert auf 36 Minuten Spielzeit, kurz und knapp – wie einst „Illmatic“.
Obwohl Jay die Musik schon immer zur persönlichen Therapie nutzte („Song Cry“, „Where Have You Been“, „Lost Ones“), öffnet er sich auf „4:44“ auf Albumlänge. „4:44“ ist persönlich, realistisch und demütig. No I.D. stellt zur gleichen Zeit sicher, dass jedes Sample den perfekten Begleiter für das Thema bildet. So erklingt Hannah Williams & The Affirmations „Late Nights & Heartbreak“ im Background auf dem Titeltrack, während Jay der Öffentlichkeit – Publicity Stunt hin oder her – seine Affaire mit Becky, der Dame mit dem schönen Haar, beichtet.
You risked that for Blue?“
Den Track schrieb Hov eigenen Angaben nach um 4:44 Uhr, was neben dem eigenen Geburtstag am 4. Dezember, dem der Gattin (4. September) und dem gemeinsamen Hochzeitstag (4. April), die Namensgebung des neuen Projektes erklärt.
Die Demut des Titeltracks zieht sich als Leitgedanke durch das gesamte Album. Er greift den Klatsch auf und macht seine Schwächen zur Stärke des Albums. Bereits auf dem Opener „Kill Jay-Z“ lässt Jigga die Hosen herunter und begleitet sein eigenes Ego zum Schlachthof. Es hagelt Appelle an den eigenen Stolz und Jay macht sich angreifbar. Im Hintergrund läuft dabei ein Loop von „Don’t Let It Show“, ein Prog-Rock-Song von The Alan Parsons Project.
You had no father, you had the armour
But you got a daughter, gotta get softer
[…]
Die Jay Z, this ain’t back in the days
You don’t need an alibi, Jay Z
Cry Jay Z, we know the pain is real
But you can’t heal what you never reveal
– „Kill Jay-Z“
It Was All Good Just A Week Ago…
Abgerechnet wird hier jedoch nicht nur mit dem eignen Ego. Ausgerechnet der Little Brother und „Watch The Throne Partner“-in-Rhyme Kanye, muss auf „4:44“ subliminal Ohrfeigen einstecken. Es scheint als herrsche Eiszeit zwischen Jay und Ye. Zum großen Rundumschlag setzt Hovito jedoch auf dem Track „Moonlight“ an. Während im Hintergrund „Fu-Gee-La“ verhackstückelt wird, setzt Jay zum Nackenschlag an und stellt die aktuelle Mumble-Rap-Generation an den Pranger:
Y’all got the same fuckin‘ flows/I don’t know who is who“
bereits 2016 gekonnt ausproduziert.
I know people backstab you, I felt bad too
But this ‚fuck everybody‘ attitude ain’t natural
But you ain’t a Saint, this ain’t KumbaYe
But you got hurt because you did cool by ‚Ye
You gave him 20 million without blinkin’
He gave you 20 minutes on stage,
fuck was he thinkin‘?
„Fuck wrong with everybody?“ is what you sayin’
But if everybody’s crazy, you’re the one that’s insane
-„Kill Jay-Z“
Richtig auslassen durfte sich Ernest Wilson aka No I.D. auf „Bam“, dem wohl knallendsten Track des Projektes. Auch hier wird unweigerlich in Richtung West geschossen:
Eine klare Referenz an Kanyes Zeile „Hit the gym, all chest, no legs“ („30 Hours“). Besonderen Bums erhält der Track durch ein wunderbar eingesetztes Sister Nancy-Sample und Unterstützung von Damian Marley im Refrain. Eine Rap/Reggae-Kollabo, die Gentleman und die Beginner wie Schuljungen aussehen lässt.
The Death Of O.J.
Die Referenzen an das Leben mit Jet-Lag sind zwar noch immer präsent, der Reichtum wird jedoch nicht mehr nur glorifiziert sondern in einen größeren, teils politischen, Zusammenhang gerückt. So hält er auf „The Death of O.J.“ sowohl sich selbst als auch der afroamerikanischen Hip-Hop-Kultur den Spiegel vor:
throwing away money at a strip club? Credit.“
Wenn man es so real-keept, darf natürlich auch eine Hymne für die eigene Hood nicht fehlen. Dies erledigt Hovito auf „Marcy Me“, einem Track der sich nahtlos einreiht in „Where I’m From“ oder „Hello Brooklyn“. Auf „Legacy“, dem letzten Track des Albums, fragt die fünfjährige Blue Ivy ihren Vater was ein Testament ist. Eine Frage, die ihr Daddy in den darauffolgenden drei Minuten beantwortet. Und so wird „Legacy“ zum verbalisierten Testament des S. Carter.
Fazit
Mit „4:44“ legt Jay die Ketten ab und verabschiedet sich von jeglichen Trends der Industrie. Er legt die Messlatte für alternde Rapper hoch und liefert das vielleicht erwachsenste Hip-Hop-Album aller Zeiten. Wohingegen Alben wie „The Blueprint 3“ oder „Magna Carta Holy Grail“ noch krampfhaft am kontemporären Sound festhielten und vom Pathos des coolen Erwachsenen mit jeder Menge Kohle lebten, akzeptiert Jay seine Rolle als Rap-Yoda und versucht nicht mehr im Zirkus der Instagram-Jugend mitzuspielen. In Würde altern, Selbstreflexion und seine eigene Verletzlichkeit akzeptieren. Mit „4:44“ ist Jay das beste Gesamtwerk in seiner Diskographie seit „The Black Album“ gelungen.
Stream
Tracklist
01. Kill JAY-Z
02. The Story of O.J.
03. Smile
04. Caught Their Eyes (feat. Frank Ocean)
05. 4:44
06. Family Feud
07. Bam (feat. Damien Marley)
08. Moonlight
09. Marcy Me
10. Legacy
Der Beitrag JAY-Z veröffentlicht mit „4:44“ das wohl erwachsenste Hip-Hop Album aller Zeiten (Review) erschien zuerst auf RAP-N-BLUES.com.