In der Kategorie “5 Fragen zum Album” stellen wir euch ausgewählte Musik-Künstler und ihre bald erscheinenden oder vor kurzem veröffentlichten Alben vor. Grundlage sind fünf kurze Fragen, die sich rund um das Release drehen.
Tony Crisp once again: Die aktuelle Instrumental LP „Cay @ Istanbul“ des aus München stammenden Beatsmiths haben wir euch vor knapp zwei Monaten bereits vorgestellt. Das 12 Track starke Release entstand in Gänze aus Samples, die Tony zusammen mit einem Freund in Istanbuler Plattenläden gediggt hat. In diesem Interview erzählt er uns die Geschichte hinter dem Release und berichtet von seinen Erlebnissen in Istanbul.
Short Facts
- 12 Tracks | 33 Minuten
- Releasedate: 7. September 2016
Stream + Download
DOWNLOAD: „[Cay@Istanbul]“ by Tony Crisp
Der Titel deiner neuen Instrumental LP lautet „Cay at Istanbul“. Welche Geschichte steckt dahinter?
Angefangen hat alles damit, dass ich immer nur klassische Soul-Samples gediggt hab. Irgendwann wurde mir das zu langweilig, Ich hatte mich an dem Sound einfach müde gehört. Die Streicher oder Klavier-Samples haben sich für mich früher oder später alle gleich angehört. Also habe ich mir gedacht, dass ich Abstand dazu brauche.
Zur gleichen Zeit hat mich ein guter Homie gefragt, ob ich sein Album produzieren will. Weil er Türke ist, hätte er gerne türkische Einflüsse drin gehabt. Also habe ich die Münchner Plattenläden nach türkischen Platten durchforstet, aber mir war das alles nicht authentisch genug. Die Platte musste den Vibe kriegen, den er gerne haben wollte und mit in Deutschland gekauften Platten wäre das doch irgendwie fake gewesen. Also haben der Dude und ich beschlossen, dass wir spontan übers Wochenende nach Istanbul fliegen.
Im Nachhinein muss ich sagen, das war die beste Idee, die wir je hatten. Der Name „cay@istanbul“ kam dann, als wir Tee trinken waren und ich mal die gigantische Atmosphäre von Istanbul auf mich habe wirken lassen. Das war schon krass! Ich habe 30 Minuten gar nichts gesagt, sondern nur den Moment genossen. Dabei dachte ich mir, das hier will ich mit den Leuten teilen, wenn ich wieder in Deutschland bin. Mein Homie hat dann irgendwann mal nach 45 Minuten gefragt, ob es mir schon gut geht, weil ich ausgesehen haben muss, wie ein kleines Kind, das im Disneyland ist. Das Cover für die Platte ist übrigens genau in der Situation entstanden, als wir da gesessen sind. Ich habe das Handy gezückt und kurz das Bild gemacht.
In welchem Stadtteil habt ihr die meiste Zeit verbracht und welche Eindrücke hast du von Land und Leuten gewonnen?
Das kann ich dir so gar nicht beantworten. Wir waren eigentlich drei Tage quer durch die Stadt unterwegs und haben uns Plattenläden über Google gesucht. Das ist bei einer Stadt mit 16 Millionen Einwohnern schon krass. So eine Größenordnung kenne ich aus Deutschland oder Kroatien nicht. Da wirkt München mit seinen rund 1,5 Millionen Einwohnern wie ein Dorf.
Besonders beeindruckt hat mich das Basarenviertel bzw. speziell „Kapali Carsi“. Das ist ein Labyrinth aus engen Gassen und kleinen Plätzen mit unzähligen Geschäften, in denen man wirklich alles kaufen kann. Die Händler dort sprechen auch gefühlt jede Sprache – von Deutsch, Spanisch, Russisch über Englisch ist alles dabei. Multikulti pur! Auch die Galata-Brücke war der Wahnsinn. Die vielen Angler haben mich echt irritiert. Sowas gibt es halt in Deutschland nicht, also Leute, die mitten in der Stadt auf einer Brücke stehen und angeln. Das spießige Ordnungsamt hier würde sich ja die Hände reiben.
Man kann sagen, dass wir das kleine Touristen-Programm durchgezogen haben. Wichtig war mir auch, dass ich den Taksim Platz und den Gezi-Park sehe, weil dort ja 2013 die Demonstrationen waren. Insgesamt habe ich Istanbul als sehr moderne Stadt kennengelernt und von der Gastfreundschaft der Menschen, die dort leben, könnten sich manche Menschen hier in Deutschland eine große Scheibe abschneiden.
Kannst du uns ein paar Tipps geben in welchen Plattenläden man in Istanbul gut Platten diggen kann?
Naja, wirkliche Tipps kann ich da nicht geben, weil ich ja selber nur einen Bruchteil der Stadt und der Läden gesehen habe. Aber wir waren da in einem Laden, dessen Besitzer Ömer heißt, der knapp 60 Jahre alt ist, glaube ich. Total netter Kerl, der in seinem Laden nur so richtig kommerzielles Zeug aus den Charts usw. hat. Ich dachte mir schon „Scheiße, was ist das denn hier? Hier geht nichts.“
Ein Freund hat dann auf Türkisch mit ihm geredet und gemeint, dass wir auf der Suche nach türkischem Sound sind, da ich Hip-Hop Beats mache. Er hat uns dann im Hinterzimmer lauter alte Platten, Kassetten und CDs gezeigt, wo wirklich alles dabei war, von türkischen Psychodelic Rock aus den 70ern bis hin zu Soundtracks aus alten türkischen Filmen. Jackpot! Ich hätte am liebsten den ganzen Laden leer gekauft.
Ömer war dann noch so korrekt und hat gemeint, dass wenn ich nicht alles mitnehmen kann, er mir einen Teil digitalisieren kann, dann kostet es mich nicht so viel. Ich habe gedacht, dass er mich verarschen will und hab ihm trotzdem mal einen 16 GB USB-Stick da gelassen. Am anderen Tag haben wir dann nochmal bei ihm vorbeigeschaut und der Stick war voll. In Deutschland könnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Landebesitzer sowas macht. Aber man hat dem Ömer halt echt angesehen, dass er sich gefreut hat, dass er mir eine Freude machen konnte.
Kennst du das, wenn man selbst unbeschreiblich glücklich ist, weil man anderen eine Freude machen kann? Das war der Ömer. Er war dann auch voll stolz, als wir ihm gesagt haben, dass wir daraus ein Rap-Album machen. Der Dude von mir hat ihm dann ein Exemplar zugeschickt und hat gleich ein Video auf YouTube gepostet bei dem das Album im Hintergrund läuft. Voll super der Kerl!
Zu welchem Instrumental hast du eine besondere Beziehung bzw. welches gefällt dir persönlich am besten?
Ich habe zu dem ganzen Beat-Album eine besondere Beziehung, weil ich eben die Platten alle nicht hier in München gekauft habe. Sonst würde mir das ganze Album weniger bedeuten, glaube ich. So hat man halt seine Eindrücke und Erinnerungen, die man damit verbindet für den Rest seines Lebens. Der Kurztrip nach Istanbul hat mich ja auch geprägt und immer, wenn ich einen Beat von dem Ding höre, stehe ich plötzlich wieder mitten in Istanbul mit Cay und esse Baklava.
In der Vergangenheit habe ich immer Beats aus einer Stimmung heraus gebaut und dieses Mal aus visueller Inspiration heraus. Das war echt eine tolle Erfahrung. Ich verdiene mit Beats ja auch nicht so viel Geld, dass ich sagen könnte, dass es für mich Standard wäre übers Wochenende irgendwo hinzufliegen, um zu diggen. Das war halt einfach mal ein Experiment und es war sehr interessant. Wenn ich irgendwann mal wieder das nötige Kleingeld zusammen habe, mache ich das auf jeden Fall wieder.
Kannst du uns zum Abschluss noch eine Anekdote rund um den Trip erzählen?
Naja, ich habe derbe Flugangst und dachte mir vor dem Hinflug, dass ich das ohne Medikamente, die meine Angst lindern, hinkriegen würde. Großer Fehler! Als ich mich angeschnallt hatte und das Flugzeug auf Rollfeld gefahren ist, hatte ich plötzlich Panikattacken und Schweißausdrücke bekommen. Die Leute um uns herum haben das natürlich mitbekommen, weil ich total verkrampft war und mich in den Sitz gekrallt habe.
Die Stewardess hatte dann scheinbar einen Tipp von einem anderen Fluggast bekommen und fragte mich, ob alles in Ordnung ist. Ich habe ihr dann mein Problem mit der Flugangst erklärt und habe dann erst gecheckt, dass manche Gäste durch meine Panik vielleicht gedacht hatten, dass ich die Kiste in die Luft jagen oder entführen will. Ich glaube die waren alle ganz froh, als sie in Istanbul auf dem Flugzeug durften und mich los waren.
Der Beitrag Interview mit Tony Crisp über seine neue LP „Cay @ Istanbul“ erschien zuerst auf RAP-N-BLUES.com.