In der Kategorie “5 Fragen zum Album” stellen wir euch ausgewählte Musik-Künstler und ihre bald erscheinenden oder vor kurzem veröffentlichten Alben vor. Grundlage sind 5 kurze und knackige Fragen. Heute mit Jennifer Gegenläufer und ihrer Debüt-EP „Positionen“.
Einleitung/ 1-Listen Review
Jennifer Gegenläufer – Eine Frau, die rappt und Stellung bezieht. Sieben Worte, die bereits zwei Punkte enthalten, welche für ungewollten Diskussionsstoff sorgen. Ich durfte vorab bereits in ihre EP hineinhören und kann sagen, dass die 19-jährige Beides mit einer spielerischen Leichtigkeit behandelt bzw. aushebelt.
Glücklicherweise unterläuft ihr dabei nie der Fehler, einen soliden Flow aufgrund thematischer Tiefe zu vernachlässigen. Im Grunde hat man es hier mit einem variablen Flow zu tun, der sich den Gegebenheiten der Beats anpassen. Bestes Beispiel wären „Antrieblos“ und „Litfaßsäulensexporno“: Während es bei „Antrieblos“ auf Klängen von Trompeten um eine Generation, die früh mit der Komplexität der globalisierten Welt konfrontiert wird, geht, ist „Litfaßsäulensexporno“ eine elektronische Ode an die runde Anschlagsäule in Form einer Anthropomorphismus. Technisch ist Beides ein Mix aus Raps, angesungenen Linien und Doubletime-Passagen.
Ein weiterer positiver Aspekt des Albums ist, dass sie die schmale Gratwanderung meistert, Geschlechterverhältnisse und soziale Ungerechtigkeiten anzusprechen, ohne dabei plumpes Halbwissen und aufgesetzt wirkende Weisheiten auf den Takt zu packen. Lyrischer Höhepunkte des Albums sind eindeutig „Augen Nicht Zu“ und „Exorzist“:
„Die Geste ist kein Mittelfinger / Denn wir formen Herzen aus unseren Daumen und Zeigefingern!“
„Positionen“ hat großes Potenzial, ob die Scheuklappen des Deutschen Hip Hop ihr Steine in den Weg legt, wird die Zeit zeigen. Grund genug um sie zu einem kleinen Interview zu bitten:
Album Facts
- 8 Tracks
- Produziert: Hautpsächlich Jennifer Gegenläufer
- Releasedate: 11. September 2015
- Produziert: Springstoff
- Erhältlich: CD
Interview
Welche Idee steckt hinter dem EP-Titel und –Cover?
Mit „Positionen“ habe ich versucht, sowohl die Gründe für meine Inhalte, als auch deren Diversität in einem Wort zusammenzufassen. Zuerst war es nur als vorläufiger Arbeitstitel angedacht, aber mit der Zeit hatte ich ihn nicht mehr umdenken können. Er erschien mir nach einer Weile als geeignet, da ich auf der EP über meine derzeitigen Standpunkte rappe, oder sie durch die Art, wie ich Inhalte transportiere zugänglich mache und offen lege. Wie zum Beispiel bei „Augen nicht zu“ und dem „Litfasssäulensex-Porno“, welche ja nun von der Umgangsweise mit der jeweiligen Thematik einen Gegensatz zueinander darstellen. Ich habe beschlossen auf Parolen und sonstigen Standartkrams zu verzichten, da mich das selbst bei anderen Künstlern absolut langweilt. Zugegebenermaßen denke ich inzwischen, dass ein anderer Titel für die EP wesentlich geeigneter gewesen wäre – aber im Nachhinein fällt einem immer etwas ein, dass hätte anders sein können.
Die Steintextur und der Streetart-Look sollen darauf hinweisen, dass sich viele der Situationen auf der Straße, also in einer Öffentlichkeit abgespielt haben. Homophobe Diskriminierungen, Unsichtbarkeit von Intersexualität, Antriebslosigkeit während andere gestresst zur Arbeit hetzen. Der Notenschlüssel ist die künstlerische Fusion der Anfangsbuchstaben von Jennifer und dem Gegenläufer und verdeutlicht zudem noch, dass ich Produzent*in bin.
Auf „Postionen“ geht es um einen Vielzahl von deinen bisherigen Erlebnissen. Ausschließlich? Wie ist das Gefühl negative Erlebnisse wieder aufzugreifen und sich damit näher zu beschäftigen?
Es kann erdrückend und befreiend zugleich sein. Momente nochmal präsent werden zu lassen, an die ich beschlossen hatte, gar nicht zu denken, kann nicht immer einfach sein. Aber das alles sind Momente, die zu meinen Ansichtsweisen und Positionen beigetragen haben – und sie auf kreative Art erneut aufzugreifen, wie z.B. den alten Prediger samplen kann einen echt schon gegen homophobe Meinungen und Attacken stark machen. Ich habe noch nie so lange lachen müssen, wie beim zusammenschneiden der Samples. Und das Lied ist schon fast ein Jahr in meiner Sammelbox und es hört für mich nicht auf, Lustig zu sein.
Sentimentale Liebesgeschichten wie z.B. „Weil du so bist“ können dann auch gelegentlich Reminiszenzen mit sich bringen, aber das werte ich nicht unbedingt negativ. Es sind einfach Teile meiner Erinnerung, die so weniger in Vergessenheit geraten und längerfristig zu einem gefestigten Selbstbild beitragen.
Genau wie „Gegenläufer*in“ sich sowohl selbstkritisch als auch selbstbewusst mit Mobbing- und Diskriminierungserfahrungen aus meiner Kindheit auseinandersetzt. Sowie es die Abneigung von einer überwiegend homogenen Gruppe beschreibt, in die ich nicht gepasst habe, weil sie sich daran gestört haben, dass meine Erscheinung nicht in ihre gängigen Geschlechterbilder gepasst hat. Es nochmal zu Thematisieren gab mir auch eine gute Reflektionsbasis, denn während des Schreibens habe ich auch erkannt, dass ich mich eventuell gar nicht so kritisch mit meinem Umfeld auseinandergesetzt hätte, wenn ich in diese Gruppe involviert gewesen wäre. Ich will sie nicht aus der Verantwortung ziehen, aber im Nachhinein bin ich froh, dass ich in meiner Kindheit kaum Freunde hatte, anstatt diese idealverblendeten Kinder um mich. Ich denke, jede*m wird es wohl mindestens einmal im Leben so gehen.
Der Sound klingt sehr vielfältig – ein musikalisch roter Faden ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Mit Absicht? Wie würdest du ihn beschreiben? Wie kam es dazu, dass du mit dem Produzieren angefangen hast?
Genau an der Frage, wie ich meinen Stil beschreiben würde, bin ich auch oft gescheitert. Vor allem weil ich mich von vielen Sounds und Klängen faszinieren lasse und mich gar nicht genau einem vordefinierten Typus von üblichen Hip-Hop Brettern zuordnen möchte. Selbst wenn ich diese auch gelegentlich sehr krass feiere.
Kreative Prozesse sind bei mir aber ausschließlich intuitiv, nichts geplantes. Letztendlich denke ich, dass die Bezeichnung „Crossover-Rap“ dafür schon recht viele Elemente die in meinen Klangbildern mitwirken, in sich unterbringt. Ich schließe es fast aus, dass ich es schaffe mir selbst bei Wortspielereien irgendwann nochmal sowas wie einen „allumfassenden“ Begriff für das, was ich mache unterzujubeln. Ich liebe (für meine Ohren) außergewöhnlich klingende Instrument-Kombinationen und Musik mit vorantreibenden Beatz und höre so viel wie möglich in unterschiedlichste Genres rein. Es langweilt mich, wenn ich den Anfang eines Beatz auch als sein Ende erwarten kann.
Angefangen zu produzieren habe ich mit 15, da ich keine*n Produzent*in kannte, der*die mir Beatz geben wollte. Instrumentals von bereits bekannten Produzent*innen haben mir in der Instrumentenkombination nie ganz zugesagt und ich möchte mich in erster Linie selbst zufrieden stellen, das ist mein geringster Anspruch. Die EP habe ich noch mit dem Programm „Fruity Loops“ zusammengeschuhstert, inzwischen arbeite ich nur noch mit der Maschine MK2 von Native Instruments.
Gibt es sonst noch etwas, dass unbedingt zu „Positionen“ erwähnt werden muß?
Ja, da gibt es was – die EP entstand in meinem Politisierungsprozess, sozusagen. Die Wurzeln von „EMZPT“ und „Exorzist“ finden sich in frühen Monaten nach Vollendung meines 18. Lebensjahres wieder.
Der Beat von „Weil du so bist“ entstand bereits mit 17 und bis zum Recording hatte ich 5 unterschiedliche Textentwürfe davon, die meine Auffassung und Gefühle während des umschriebenen Moments immer weiter reflektiert haben. In dem Lebensabschnitt fing ich an, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln und anders mit Intimität, Privilegien und Mitmenschen umzugehen.
Ebenso wie bei dem Song „Augen nicht zu“, der sich anfangs nur auf Tiere bezog. Als ich die Zusammenhänge von Tierausbeutung und Armut in anderen Kontinenten erfasste, begann ich es umzuschreiben und habe begonnen, Antispeziesismus mit Antifaschismus zusammenzudenken.
Unterstützt wird die EP vom Gendermagazin „Mein Testgelände“, einer Website auf dem junge Menschen ihre Sichtweisen auf Geschlechterverhältnisse und soziale Ungerechtigkeiten posten. Wie kam es dazu?
Ich rappe seit 7 Jahren und hatte mit 15, also vor 4 Jahren, mal einen Auftritt im Jugendzentrum Mühle in Braunschweig. Da hat die Initiator*in von „Mein Testgelände“ mich gehört und mich in Erinnerung behalten, da sie meiner Musik einen kämpferischen Charakter anmerkte. Die Sozialarbeiter haben mich dann drei Jahre später nochmals Kontaktiert um mir den Kontakt zu ihr zu vermitteln. Sie kam mich besuchen und ich habe ihr meine EP vorgestellt, woraufhin sie mir die Unterstützung zusagte.
Was steht in der Zukunft noch bei dir an?
Ich sage es mal kurz und knapp: Ich betrachte mich selbst als eine Gegendarstellung zu dem sexistischen „Normalzustand“, den ich als Unnötig betrachte. Mein Ziel ist es, mit Konzerten und Songs eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen beim Feiern wohlfühlen können und die Notwendigkeit von Diskriminierungen im Rap in Frage zu stellen. Klar kann ich zwischen Satire und Ernst differenzieren, aber ich finde, dass Humor abhängig von seiner Gestaltung ist.
Ich bin durch meinen Artikel „Female MC’s auf dem Vormarsch: Ein Überblick“ auf deine Musik aufmerksam geworden. Ohne hier geschlechtlich zu kategorisieren: Wie findest du die aktuell scheinbare Welle an Female MC’s?
Ohne nun vereinzelt auf Inhalte einzugehen – gut! Klar, ich versuche auch bei den Inhalten von Frauen* genauso kritisch zu sein, wie bei denen von Männern*, aber mal ganz Allgemein betrachtet fällt es auf, dass sich das Vorurteil, dass Frauen nicht so gut wie Männer rappen würden, vollkommen unabhängig von den Inhalten entkräftet, wenn es genug Gegendarstellungen gibt. Und mit Kritisch meine ich keineswegs, dass es mir darum geht, Personen auf eine Wortwahl oder ein Erscheinungsbild zu reduzieren.
Ich bin kein Fan davon, mich mit Menschen aufgrund von Unstimmigkeiten anzufeinden. Lieber solidarisiere und connecte ich mich mit anderen Rapper*innen um sich auszutauschen und Hip-Hop Feeling implizit dieser Veränderung zu feiern, schließlich habe ich auch mal Inhalte von mir gegeben und Dinge gesagt, die ich inzwischen nicht mehr so sehe und nicht mehr so sagen würde.
An diesem Punkt: Ich feier’ ESMaticx, Tice und die ganz frisch dazugekommene, aber echt krasse Haszcara und habe alle drei gerne in meinem Player laufen.
Mehr Informationen zu Jennifer Gegenläufer findet ihr auf Facebook.
(c) Alle Fotos: (c) FrankTobianPhotography