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„In Markt Schwaben haben wir Hip-Hop wie ein Tor zur Welt erlebt“– Roger Rekless im Artist Feature Interview #173

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Roger Rekless

Roger Rekless, Foto: (c) facebook.com/rogerrekless

In der „Artist Feature“ Interview-Serie erzählen uns Newcomer und etablierte Musiker Geschichten aus ihrem Künstleralltag. Diese Woche mit Roger Rekless.

David Mayonga aka Roger Rekless ist unter Hip-Hop-Fans unter anderem als Rapper mit großem Freestyle-Talent, DJ und als Host seiner Radio-Show auf BR Puls bekannt. Das Thema Alltagsrassismus begleitet ihn seit seiner Kindheit. Darüber hat er ein Buch geschrieben: „Ein Neger darf nicht neben mir sitzen“. Wir sprachen mit dem Münchner über Alltags-Erfahrungen mit dem Thema Rassismus, seine Anfänge in der Hip-Hop Kultur, das Buch und natürlich auch über sein aktuelles Album „Über die Natur der Dinge“.

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Interview mit Roger Rekless

Wir beginnen unsere „Artist Feature“ Interviews immer mit einem kulinarischen Teil. Welches Lokal würdest du jemandem empfehlen, der in München zu Gast ist?

Oh, da gibt es einige. Das „Obacht“ ist killer für klassisch bayrische Gerichte mit einem nicen Twist. Die Spetzlwirtschaft direkt über dem Crux ist Essens- und Weintechnisch hervorragend, aber wenn ich nur eines herauspicken „muss“, dann wäre das der Schönfärber. Genauer gesagt: Weinwirtshaus zum Schönfärber. Kleine Karte und eine unfassbare Auswahl an alten Weinen. Da griagst du einen 83er Chablis und du konnstn dazoin. Des mog I.

Passend dazu: Was ist dein Lieblingsgericht?

Viel.

Bitte nenne uns einige Bücher, die dich geprägt haben oder die du ganz besonders gerne gelesen hast.

Also eines der wichtigsten Bücher war für mich als Jugendlicher die Autobiografie von Malcolm X, die er zusammen mit Alex Haley geschrieben hat. Dann hab ich auch in der Jugend aus dem Bücherregal meiner Mum von Sartre „Der Ekel“ herausgezogen, was mich so fasziniert hat, dass ich erst einmal alles über den Existenzialismus wissen wollte.

Dann noch: Fast alles von Douglas Adams und Terry Pratchett, weil es einfach wenig lustigeres gibt. Das Buch, dass mich seit ein paar Jahren begleitet ist „Eine kurze Geschichte von fast allem“ von Bill Bryson, weil da quasi die relativ aktuellen Forschungsstände in den unterschiedlichen Naturwissenschaften recht amüsant und gut lesbar dargestellt werden.

Du stammst aus Bayern, genauer gesagt München. Wenn du dich heute zurückerinnerst: Wie hast du damals zur Hip-Hop Kultur gefunden und mit welchen Gedanken verbindest du die Anfangszeit?

Ich bin in München geboren. Aufgewachsen bin ich jedoch in einem kleinen Ort im Münchner Osten – Markt Schwaben. Den Zugang zur Musik hatte ich über meine Mama und die Mixtapes, die sie mir gegeben hat. Da habe ich Rap kennengelernt und dann irgendwann später von Hip Hop als Subkultur erfahren.

In Markt Schwaben haben wir Hip Hop wie ein Tor zur Welt erlebt. Wir hatten eine kleine aber feine Crew von Malern und Breakern. Bei mir persönlich war es noch dazu aufgeladen damit, dass in dieser Jugendkultur nicht zählte, wo du herkommst oder wie dein sozialer Status ist. Es ging darum was du machst. Und Hip Hop war damals meeega uncool. Ich weiß noch wie sie immer gesagt haben „Ihr mit euren Gummistiefeln“ weil wir Adidas Superstars anhatten.

Graffiti, Breakdance und Djing haben mich am meisten fasziniert. Gerappt hab ich eigentlich lange nur heimlich für mich selbst und ein paar Freunde im engeren Kreis. Der ältere Bruder eines Schulkameraden hatte dann mal gesagt: „David, du kannst alle möglichen Texte auswendig, du musst selber auch mal was schreiben“. Hab ich probiert. Und jetzt sind wir hier.

Video: Roger Rekless – „X“

Wann stand für dich fest, dass du dich der Musik widmen möchtest? Gab es einen bestimmten Schlüsselmoment, an den du dich erinnerst?

Also die Musik als Erwerbsjob? Das habe ich nie wirklich entschieden, im Gegenteil. Als ich damals DJ war und den ersten Major Vertrag unterschrieben habe, war klar, dass ich meine Schule trotzdem fertigmache. Danach mit dem Studium das gleiche. Musik war immer da, aber erst während des Studiums habe ich gemerkt, dass ich fast mein komplettes Leben mit Mucke finanziere. Mucke und kackjobs im Einzelhandel.

In einem Interview habe ich gelesen, dass du kurz darüber nachgedacht hast, Polizist zu werden. Käme das für dich heute ebenfalls noch in Frage?

Naja, ich wollte wie viele Kids mal Polizist werden. Das war aber nie ein wirklicher nachhaltiger Berufswunsch. Außerdem habe ich als Kind mit bikulturellem Hintergrund in Bayern die denkbar schlechtesten Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Wenn ich dem Verein beitreten würde, dann nur in einer Position, wo ich ihn von Grund auf überholen könnte. Und das ist eher utopisch.

Anfang des Jahres hast du dein neues Album „Über die Natur der Dinge“ herausgebracht. Ich habe gelesen, dass der Titel für dich eine ganz besondere Bedeutung hat. Kläre uns darüber doch bitte einmal auf!

„Über die Natur der Dinge“ ist der Titel eines Prosatextes von Lukrez. „Dererum Naturae“ heißt es im Original. Lukrez war ein Schüler von Epikur dem griechischen Philosophen, den die Kirche so sehr gehasst hat, dass sie versucht haben alle seine Texte zu verbergen und seine Lehre verschwinden zu lassen. Epikur erzählte vom Universum, von anderen Planeten, davon, dass wir uns die Unendlichkeit überhaupt nicht ausmalen können und dass wir im „Jetzt“ leben sollen anstatt uns auf ein Leben nach dem Tod zu freuen. Diese Lehre hat Lukrez in seinem Text „Dererem Naturae“ wunderbar zusammengetragen.

Das Buch war dann aber über 1000 Jahre verloren und wurde erst wieder in einer deutschen Abtei, von einem italienischen Schreiber gefunden. Und das zum Beginn der Renaissance. Ich hatte da mal eine lange Unterhaltung mit einem mir sehr wichtigen Vorbil, dem Jo Arneke. Und der hat anhand der Bücher die ich gerne gelesen hatte gemeint: „Du bist ja ein Epikuräer!“.

Dann meinte er ich müsse unbedingt diesen Lukrez Text lesen und hat mir das Buch empfohlen. Als ich es dann in den Händen hatte, wollte ich meine Verbindung mit den Ideen von Lukrez und Epikur zeigen, indem ich mein Album danach benannt habe.

Roger Rekless

Roger Rekless, Foto: (c) Dario Suppan Photography

Auf dem Album thematisierst du auch sehr offen den Umgang mit deiner zurückliegenden Depression. Wie hast du deinen Weg heraus gefunden und was würdest du jemandem mitgeben, der ebenfalls unter Depressionen leidet?

Also Depressionen sind ein weites Feld, das immer bedingt, sich professionelle Hilfe zu holen. Ich hatte keine Depression, sondern ein depressives Syndrom. Da hab ich mir auch Hilfe geholt um herauszukommen, da ich schon früher mit Depressionen und depressiven Episoden zu tun hatte. Ich habe lange versucht, das alleine in den Griff zu kriegen. Ich wollte stark sein. Ich wollte das machen was die Leute mir gesagt haben: ‚Kopf hoch! Das wird schon wieder! Mir geht es auch oft nicht so gut, aber das geht dann auch vorbei…!‘ All das hat mich denken lassen ‚oh fuck alle schaffen das, nur ich bin alleine und checke es nicht. Wenn ich mir jetzt Hilfe in einer Therapie hole, dann wissen alle, dass ich der schwächste Typ bin.‘

Als es dann wirklich dunkel wurde und ich auch gemerkt habe, dass ich bis zum äußersten gegangen wäre, habe ich mir Hilfe geholt.

Mein Rat wäre: wartet nicht so lange!

Jeder, der diese Dunkelheit kennt, weiß wie schnell es manchmal geht, dass sie einen komplett umhüllt und man nichts mehr machen kann. Nicht mehr sprechen, nicht mehr rausgehen, nicht mehr aufstehen, nicht mehr wollen. Scheißt auf diese ganzen „Das wird schon wieder“- Sprüche! Ihr seid unfassbar stark weil ihr den Schmerz bis hierhin getragen habt. Seht euch nicht als schwach und Hilfe nicht als aufgeben. Sich Hilfe zu holen ist manchmal der stärkste Move den es gibt.

Roger Rekless

Roger Rekless, Foto: (c) facebook.com/rogerrekless

Kommen wir zu einem anderen Thema: Neben der Rap-Musik bist du als Musiker auch in der Hardcore-Szene unterwegs. Wie hat sich das denn ergeben?

Für mich war das immer parallel. Während ich Hip Hop kennengelernt habe, begann ich auch zu skaten. Zwar sehr schlecht aber mit sehr viel Spaß. Und da war Punk und Metal und Hardcore genauso vertreten wie Rap-Musik.

Ich habe in der Grundschule schon viel Gitarrenmusik gehört und hatte später den Eindruck, dass Rap und Punk eigentlich voll gleich sind. Junge Menschen äußern sich wütend gegen die vorherrschenden Zustände. Egal ob Public Enemy oder Helmet.

Ich wollte auch immer schon mal Sänger einer Punk oder Hardcore Band sein. Ich habe Demos, die kann ich keinem zeigen wo ich das schon in jungen Jahren versucht habe. Hahaha. Aber dann als ich mit Chris und Fabi diese Band begonnen hab, da erst war ich ready. Bin ein bissl ein late bloomer :)

Video: Roger Rekless – „Was bin ich für dich“ (Remix)

Neben der LP hast du auch ein Buch veröffentlichte. Es trägt den Titel „Ein Neger darf nicht neben mir sitzen: Eine deutsche Geschichte“ und beschreibt, mit welchen Anfeindungen du aufgewachsen bist. Gibt es Reaktionen zu dem Buch, die du mit uns teilen möchtest?

Ach es ist schon heftig. Wenn du dich hinsetzt und zusammen mit deinem Co-Autor über 250 Seiten Buch zusammenschreibst und mit einem Sachbuch die Menschen für ein Problem sensibilisieren willst, nur um dann so Facebook-Nachrichten und Kommentare zu bekommen, dass ich ja gar keine Ahnung habe wie schwer es weiße Menschen haben und überhaupt wäre Rassismus ja auch deshalb ein Problem, weil „wir“ immer die „Rasse-Card“ ziehen, damit wir Aufmerksamkeit bekommen.

Aber auf der anderen Seite habe ich uuuunfassbar viel Support erfahren und viele Rückmeldungen bekommen, dass die Menschen froh sind über das Buch, weil sie ihre eigene Geschichte dort auch wiedererkennen. Das dieses Buch ihnen die Möglichkeit gibt, die eigenen Erfahrungen sichtbar zu machen. Auch dass ich in so vielen Formaten eingeladen war und über das Thema sprechen konnte, war sehr gut.

Ich hoffe, bald kommt von irgendjemandem nochmal so ein Sachbuch. Wir müssen alle ballern und am Ende füllt unser Wissen, unsere Erfahrung und die Erkenntnisse der Rassismus-Forschung die Regale der Bibliotheken und nicht mehr Carl von Linnés pseudowissenschaftliche Rassenlehre.

Ein Neger darf nicht neben mir sitzen - Roger Rekless

Roger Rekless veröffentlichte im März 2019 seine Autobiographie „Ein Neger darf nicht neben mir sitzen“

Wie hat sich das angefühlt, das eigene Buch im Handel zu sehen? War die Veröffentlichung eine große Befreiung für dich?

Es war vor allem eine Freude zu sehen, dass Menschen rausgehen können und es sich im Buchladen an der Ecke bestellen können. Das war krasser als jede Platte die ich bisher gemacht habe, weil ich das Gefühl hatte, dass ich in eine Welt hineinplatze die mehr Diversität und mehr Geschichten von POCs dringend benötigt, damit die Masse sieht, dass wir hier sind.

Das Buch für 18,00 EUR versandkostenfrei direkt beim Verlag bestellen.

Zum Schluss haben wir noch ein paar Sätze zum vervollständigen: Fünf Minuten vor der Show, …

Atmen, warm machen und ganz bei mir sein, um auf mich auf der Bühne nicht zu verlieren.

Fünf Minuten nach der Show …

Whisky.

Eine Hörspiel-CD über mein Leben sollte gesprochen werden von, …

Heinz Strunk.

Dort, wo ich herkomme, ist das Wichtigste, …

Nicht wo ich herkomme.

„Über die Natur der Dinge“ // Album Streams

Album Cover + Tracklist

Roger Rekless Ueber Die-Natur Der Dinge Album Cover

Album Cover: „Über die Natur der Dinge“ von Roger Rekless (VÖ: 15.02.2019)

01. X (Über die Dinge der Natur)
02. Raus aus der Dunkelheit (feat. Adriano Prestel)
03. Drums
04. Kenn ich nicht
05. Mantra (feat. Keno)
06. Weder Straße noch Block
07. Unser Level (feat. Maniac)
08. F****n Sie sich (feat. Liquid)
09. Nachkommen
10. Sink oder schwimm

Das Album direkt beim Künstler für 20,00 EUR bestellen.

Der Beitrag „In Markt Schwaben haben wir Hip-Hop wie ein Tor zur Welt erlebt“ – Roger Rekless im Artist Feature Interview #173 erschien zuerst auf RAP-N-BLUES.com.


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