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„Ich glaube, dass Egoismus und Selbstverwirklichung heute in der Tat einen anderen Stellenwert haben“– Conny (Der Plot) im Artist Feature #172

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Conny Der Plot

In der „Artist Feature“ Interview-Serie erzählen uns Newcomer und etablierte Musiker Geschichten aus ihrem Künstleralltag. Diese Woche mit Conny (von Der Plot).

Als 2013 eine Band namens Der Plot mit ihren Frontrappern Conny und Elmäx beim VideoCrewBattle von StoneyStyles teilnahm und damit zum ersten mal im Hip-Hop Spiel auftauchte, haben sie mich direkt gecatcht und direkt das Turnier gewonnen. Gerade Connys Mischung aus Raps, Attitüde und sein allgemeiner Style war irgendwie erfrischend neu.

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Trotzdem musste man über fünf Jahre auf ein Solo-Release von ihm warten. Doch „Lieder über Lara“ wäre kein Release eines Plots, wenn es nur eine EP voll mit einzelnen Songs wäre. Das Kunstprojekt „Lieder über Lara“ stellt vielmehr die Frage, was noch von der althergebrachten Idee der romantischen Liebe bleibt, wenn die moderne Welt uns so vehement erzählen möchte, dass jeder Topf mehr als einen Deckel haben kann.

Als Autor des gleichnamigen Theaterstücks und fester Bestandteil der Aufführung hat Conny die Entstehung des Stücks, das aktuell im Metropol Theater in Köln läuft, von Beginn an begleitet. Grund genug, um sich mit ihm über sein aktuelles Projekt zu unterhalten.

Interview mit Conny (Der Plot)

Ich habe mir gerade das erste mal seit Jahren noch einmal eure Rückrunde gegen die Reimebude gegeben. Schaust du dir die VCB-Runden auch mal ab und zu noch einmal an?

Auf jeden Fall! Wir haben vor nicht allzu langer Zeit auch nochmal recht ausführlich in unserem Podcast „Plotcast“ über das VCB gesprochen, das hatte ich zuletzt als Anlass genommen, nochmal alle Runden durchzuschauen. Aber auch sonst schaue ich ab und zu ganz gerne nochmal rein.

Mit welchen Gedanken blickst du auf die Zeit zurück?

Die VCB-Zeit war für uns eine sehr spaßige und vor allem auch produktive Zeit, an die ich gerne zurückdenke. Wir sind mit diesem Turnier das erste Mal auf der Deutschrap-Landkarte in Erscheinung getreten – verständlich, dass viele „Der Plot“ sehr stark mit „Battlerap“ assoziieren. Aber auch unsere textlichen und musikalischen Stärken sind deutlich geworden, und davon zehren wir bzw. ich noch heute. Für uns also ein ziemlicher Glücksfall, dieses Turnier.

Wie steht es um den Plot und neue Musik? Ich wünsche mir ja schon wieder Battlerap von euch.

Seit „Interrobang“ sitzen Max (Elmäx) und ich häufig zusammen und arbeiten an Songs und Texten. Uns beiden ist klar, dass es weitergeht, aber auch, dass wir nicht irgendetwas machen wollen. Wir sind auf der Suche nach einem Album-Konzept, das uns beiden die Möglichkeit gibt, die Entwicklung der letzten Jahre weiterzuführen, aber der große Aha-Moment war noch nicht dabei.

Ich fürchte allerdings, dass Battlerap dabei eine eher untergeordnete Rolle spielen wird.

Ist euer musikalischer Ansatz für Battlerap zu hoch bzw. würdet ihr während der Produktion irgendwann an einen Punkt kommen, an dem euch der reine Battle zu langweilig werden würde?

So würde ich das nicht ausdrücken. Battlerap ist ja nicht anspruchslos bzw. muss es nicht notwendigerweise sein. Es hat viel Spaß gemacht, in diese Welt einzutauchen und mal zu testen, ob man in diesen Gewässern schwimmen kann, aber ich glaube ich möchte lieber FÜR etwas schreiben, als immer nur GEGEN etwas. Hinzu kommt, dass ich es beim Turnier viel einfacher fand, Zeilen gegen einen konkreten Gegner zu produzieren, als einen Track gegen eine fiktive Person – “die Wackness an sich” oder “alle Hater da draußen” – zu schreiben. In einem solchen Szenario werden mir die Zeilen zu schnell zu generisch und verlieren ihren Biss, zumindest bei meinen eigenen Texten.

lieder-ueber-lara

Kommen wir einmal zum Theaterstück: Wie hat sich das ergeben?

Der Kern der Geschichte entstand tatsächlich beim Texten mit Elmäx. Wir hatten die Idee zu einem Song, der eine perfekte Party beschreibt – bis auf den Umstand, dass die eine Person, auf die man am meisten gewartet hat, nicht gekommen ist. Damit hatte ich bereits meine beiden Protagonisten: Louis und Lara.

Ich hatte allerdings das Gefühl, dass ich dazu noch mehr erzählen kann als eine Strophe. Da waren direkt so viele Fragen in meinem Kopf – hat Louis die Party nur für Lara ausgerichtet? Ist es wirklich so schlimm, wenn sie nicht kommt? Heutzutage macht man eine App auf dem Smartphone auf und kann gleichzeitig 100 Menschen daten – ist es so schlimm, wenn man einen Korb bekommt? Früher hätte man das, was Louis macht, als „romantisch“ bezeichnet. Ist das heute auch noch so? Als ich gemerkt habe, dass ich auch gerne selber eine Antwort auf diese Fragen hätte, habe ich mir überlegt, mehr daraus zu machen.

Also habe ich mit Mareike Marx, der Intendantin des Theaters, in dem „Lieder über Lara“ aktuell aufgeführt wird, gesprochen und ihr von meiner Idee erzählt. Ich bin seit jeher großer Theater-Fan und sehe auch privat gerne und regelmäßig Vorstellungen an. Mareike hat mich ermutigt, es zu versuchen und hat mich beim Schreibprozess immer wieder begleitet und mir Tipps gegeben, bis ich schließlich bei einer Vorlage angekommen bin, mit der wir nach Schauspielern und Regie suchen konnten.

Hat dieses Stück an manchen Stellen autobiografische Züge?

Mit Sicherheit. “Lieder über Lara” erzählt eben auch eine Geschichte vom “Verliebt sein in das Verliebt-Sein”, und das ist etwas, worin ich mich früher sehr gut verlieren konnte. Ich habe mich in meinen Liebeskummer reingesteigert und meine eigene Empfindsamkeit dann als mein vermeintlich tragisches Schicksal verflucht, aber mich gleichzeitig als hoffnungslosen Romantiker hochstilisiert. Ich wollte diese “Liebe-auf-den-ersten-Blick”-Sache so sehr! Ein bißchen kann man es im Song “Balkon” nachhören: Louis trifft auf Lara, da ist eine gewisse Chemie zwischen den beiden – aber mehr eigentlich auch nicht. Und dann kann man hingehen, und sein “Ich blick’ ihr nach und es ist um mich geschehen” als total romantisch interpretieren, aber vielleicht will er es auch erzwingen. Vielleicht will er auch einfach unbedingt diese Story erzählen, dass er sich beim ersten Treffen Hals über Kopf verliebt hat.

Man hat es z.B. jüngst bei Visa Vie und ihrem Projekt #DALI gesehen, dass sie viel mit Schreibblockaden gekämpft hat, teilweise extra dafür verreist ist und in diesem Schreibprozess auch ziemlich viel privat passiert ist. Wie war es bei dir?

Ich habe das gesamte Theaterstück geschrieben, während ich noch einen Vollzeit-Job hatte. Ich habe von Mo-Do in einer Agentur und Freitags als Freelancer gearbeitet. Meistens konnte ich mich erst nach Feierabend oder am Wochenende hinsetzen, teilweise habe ich mir Urlaub genommen, um daran arbeiten zu können. Es ist absolut nicht einfach, in diesen Momenten auf Knopfdruck kreativ zu sein, vor allem wenn du zuhause schreibst. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich doch wieder abzulenken…

Mir hat es häufig tatsächlich geholfen, in ein Café zu gehen und zu schreiben, aber ich habe auch im Zug, im Flugzeug oder eben zuhause am Küchentisch geschrieben. Von Schreibblockaden bin ich aber gottseidank weitestgehend verschont geblieben.

An welcher Stelle denkst du haben dir deine Skills beim Tracksschreiben geholfen? Weiter gefragt: Was konntest du für deine Raptracks mitnehmen?

Die Idee, auch Songs im Stück unterzubringen, war recht früh da, also habe ich von Anfang an überlegt, an welcher Stelle ein Song passen würde. Als ich den jeweiligen Song dann geschrieben habe, habe ich gemerkt dass es extrem hilfreich ist, wenn du dich in dieses Gefühl reinversetzen kannst, was dein Protagonist an genau dieser Stelle im Stück verspürt. Ich werde für die nächsten Releases definitiv versuchen, zumindest eine grobe Geschichte aufzuschreiben und einen Rahmen zu bilden, für die Songs, dich ich/wir machen. Das Texten ist mir so deutlich einfacher gefallen; häufig haben wir sonst ja einfach nur ein Thema grob umrissen und dann angefangen, Zeilen aufzuschreiben.

Wie nah ist das Endergebnis an deinen Vorstellungen im Kopf als du das Stück geschrieben hast? Wie viel Rap steckt da drin?

Ich habe mit unserem Regisseur Joseph Vicaire eigentlich das gesamte Stück überarbeitet. „Lieder über Lara“ ist mein erstes Theaterstück, er hat schon sehr viele inszeniert – da gab es für mich noch einiges zu lernen, vor allem was die Dramaturgie angeht. Wenn du dir also mein ursprüngliches Skript anschaust, ist da schon einiges passiert im Vergleich zu dem, was jetzt auf der Bühne aufgeführt wird. Aber eines war von Anfang klar: die Songs, also die „Lieder über Lara“, müssen rein und müssen auch live gerappt werden, weil das unser Alleinstellungsmerkmal ist. Und ich glaube, dass wir damit alles richtig gemacht haben.

Du hast mit jeder Menge erfahrener Menschen zusammengearbeitet. Inwieweit haben sie deine “Vision” bzw. Vorgaben, die du als Autor vorgegeben hast, weitergetragen und wo haben sie in deine Arbeit “hineinpfuschen” wollten?

Ich bin mit der Einstellung reingegangen, soviel zu lernen wie möglich. Sowohl Joe (unser Regisseur) als auch das Ensemble sind allesamt Theater-Profis – ich war erstmal nur der Typ mit der Idee. Das ist am Anfang nicht leicht, wenn der Rotstift angesetzt wird und man dir Stellen streicht, die dir ans Herz gewachsen sind. Aber ich habe auch gelernt, dass ich meine Figuren zu viele Ideen habe aussprechen lassen – Theater lebt auch davon, dass der Zuschauer selber interpretiert und Platz für eigene Ideen hat.

Eine der Schauspielerinnen meinte während der Proben mal zu mir: „Kill your darlings.“ Jetzt weiß ich, was das bedeutet.

Wie war das erste Feedback darauf? Hast du nun Blut geleckt?

Blut geleckt habe ich – ich habe beschlossen, es eine zeitlang als freier Autor zu versuchen. Meinen alten Job habe ich gekündigt und schreibe jetzt an neuen Sachen; sowohl Musik als auch Nicht-Rap-Texte. Ob und wann ich mir damit meinen Lebensunterhalt finanzieren kann, kann ich dir noch überhaupt nicht sagen, aber ich weiß, dass ich den Versuch wagen möchte.

Das erste Feedback zum Theaterstück war erfreulicherweise sehr gut, die Songs kommen gut an und ich glaube, dass wir genug Lacher im Stück haben, um unterhaltsam zu bleiben – aber ohne den ernsten Kern aus den Augen zu verlieren. Ich hoffe, dass wir ab Oktober auch weiterhin gut besuchte Vorstellungen haben.

Kannst du sagen, wo bei diesem Projekt deine private Aussage aufhört und die generalisierte Aussage einer Kunstfigur anfängt?

Schwierig. Vielleicht finde ich es auch gerade spannend, wenn man diesen Punkt nicht genau bestimmen kann. Das Fundament des Stücks und der Texte darin bilden auf jeden Fall meine eigenen Erfahrungen und die Erlebnisse in meinem Freundeskreis. Allerdings gibt es auch Stellen, die ich überzeichnet habe und die keine konkrete Entsprechung in meiner Erfahrungswelt haben – zum Beispiel spielt Tinder eine große Rolle im Stück, welches für mich oder meine Freunde kaum eine Rolle bei der Partnersuche gespielt hat. Auch die Konsequenzen, die Louis aus seiner Suche nach Lara zieht, sind nicht meine Konsequenzen; aber ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel verraten. (lacht)

Was hat sich im Vergleich zu den Vorgängergenerationen in unserer verändert? Haben Egoismus und Selbstverwirklichung Werte wie Treue und Hingabe abgelöst?

Ich glaube, dass Egoismus und Selbstverwirklichung heute in der Tat einen anderen Stellenwert haben. Meine These ist, dass die Dating-Maschinerie (die inzwischen ein Milliarden-Markt ist) uns erzählt, dass wir nur lang genug suchen müssen, bis wir jemanden finden, der genau zu uns passt. „Genau zu uns passen“ ist dabei aber ein Euphemismus für „mit allen deinen egoistischen Vorstellungen klarkommt“. Und da heute der nächste potentielle Partner nur einen Swipe entfernt ist, sind schon kleine Inkompatibilitäten Grund genug, eine Beziehung aufzulösen.

Ich glaube nicht, dass Treue und Hingabe verschwunden sind oder keine Chance mehr haben, aber früher war das erneute Auf-die-Suche-begeben nach einer Trennung unbequem und langwierig; Online-Dating macht es uns sehr einfach, während Treue und Hingabe nun unbequem und langwierig sind. Und wenn sich der Invest ändert, den du bringen musst, ändert sich eben auch das gesamte Verhalten drumherum.

Ist es für die Beziehungsunfähigen eine Art Selbstschutz, sich grundsätzlich auf keine tiefe Beziehung mehr einzulassen oder kennen sie dies tatsächlich nicht? Kann so etwas generationenübergreifend verloren gehen oder haben sie eigentlich nur die Prioritäten verschoben?

Es ist nur auf den ersten Blick ein Selbstschutz. Natürlich müssen auch in einer Beziehung die eigenen Interessen respektiert und genug Raum geboten werden, um sie auszuleben; aber in einer Beziehung lernen wir eben auch, genau diesen Respekt dem Partner/der Partnerin entgegen zu bringen und ihm/ihr die Möglichkeit zu bieten, sich maximal zu entfalten. Wenn die Leute heute erzählen, dass sie keine Beziehung eingehen, weil sie Freiraum wollen, glaube ich dass es häufig nur die Unfähigkeit ist, eine Beziehung so zu gestalten, dass beide Freiraum erleben und genießen können. Der Grat zwischen Selbstschutz und Egoismus ist hier sehr schmal.

Welche Rolle spielt hier Emanzipation und das Wegfallen der klassischen Rollenverteilung?

Du hast eben gefragt, ob das mit dem Generationswechsel verloren gegangen ist – ich möchte an dieser Stelle darauf eingehen. Seit der Generation unserer Eltern sind viele moralische Instanzen instabil geworden oder gar gefallen, was aber nur eine konsequente Weiterführung der Entwicklungen ist, den eben diese Eltern-Generation angestoßen hat. Die Technologie bestimmt immer mehr Bereiche unseres Lebens, Religion gerät immer weiter in den Hintergrund und kapitalistische Maximen durchziehen immer mehr die Motivationen unseres Tuns. Was das angeht, sind wir im wahrsten Sinne des Wortes die Kinder unserer Eltern. Ein „Früher war das anders“ lasse ich hier nicht wirklich gelten – die heutige Entwicklung hat nicht erst vor ein paar Jahren begonnen.

Den Wegfall klassischer Rollenverteilung begrüße ich als erklärter Feminist sehr, und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Partnersuche, Vorstellungen von Romantik und der Art und Weise, wie wir unsere Beziehungen gestalten. Auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, die Gestaltung unserer Beziehungen vom Geschlecht unabhängig zu machen, hat sich hier schon viel getan – und das verwirrt Menschen. Ich glaube, dass vor allem Männer hier oft einen Moment der Irritation erleben, wenn Frauen ihnen entweder ihr eigenes Dating-Verhalten zurückspiegeln oder Forderungen an eine Beziehung stellen, die sie bisher nur für sich beansprucht haben. In „Lieder über Lara“ spielt das auch eine Rolle – ich wollte Louis (meinen Protagonisten) genau dieser Situation aussetzen und schauen, was passiert. Ob seine Songs dann noch süß oder poetisch oder romantisch sind, oder ob sie ein Balz-Verhalten repräsentieren, welches einer überholten Rollenverteilung nachtrauert, darf der geneigte Hörer selbst entscheiden. (lacht)

„…lebt das Märchen von der großen Liebe weiterhin präsent in der Unterhaltungsindustrie: Popmusik, Spielfilme, TV-Serien und -Filme, sogar Videospiele erhalten das „Disney-Narrativ“ auch heute noch am Leben.“ – sind es nicht gerade diese Idealbilder, die Perfektion und damit auch die Selbstoptimierung, die über eine lange Zeit gesehen alles „kaputt“ gemacht hat, da man sie sowieso nicht erreichen kann?

Absolut – diese Bilder sind unrealistisch und in meinen Augen Gift für jede Beziehung. Um Justus, den besten Freund meines Protagonisten Louis in „Lieder über Lara“ zu zitieren: „Die viel interessantere Frage ist, warum alle Menschen eben diese Pärchen für die Wahrzeichen der Romantik halten, die eigentlich gar keine Pärchen waren, weil es nie zu einer wirklichen Beziehung kam!“

Ein klassisches Motiv der romantischen Filme, Serien und Songs ist zum Beispiel Treue und Untreue – allerdings in der konservativen, althergebrachten Version. Treue bis an das Lebensende hat vor vielen Jahren und Jahrhunderten einen ganz bestimmten Zweck erfüllt: nämlich sicherzustellen, dass das eigene Hab und Gut an den rechtmäßigen Stammbaumhalter weitervererbt wird. Aber heute? In Zeiten, in denen wir in Großstädten jeden Tag neue interessante Menschen kennenlernen und Sex auf jedem Werbeplakat auftaucht, egal ob Müsli- oder Kondomwerbung, ist Treue bis an das Lebensende eine ganz andere Nummer als vor 200 Jahren. Damit man mich nicht missversteht: ich will Treue nicht abschaffen, ich sage nur, dass wir heute unsere Beziehungen anders gestalten müssen, wenn sie dauerhaft funktionieren sollen.

Wie weit weg sind wir vom Nihilismus 2.0?

Wahrscheinlich erlebt jede Generation irgendwann eine Phase, in der nihilistische Tendenzen plötzlich stärker spürbar werden – manchmal habe ich das Gefühl, dass man das auch in der Rapmusik spürt, vor allem Cloud-Rap mit seinen extrem reduzierten Texten und Themen hatte für mich oft nihilistische Momente. Aber sowas erzeugt ist ja auch immer Reaktion auf etwas und ruft selbst ebenfalls Reaktionen hervor, die keinesfalls nihilistisch sind. Ich glaube dass in Sachen Feminismus und Genderforschung gerade viel passiert und in das gesellschaftliche Bewusstsein tritt, Menschen beschäftigen sich, angeregt von Trump und der politischen Entwicklung in Deutschland wieder mit den Strukturen und Merkmalen totalitärer Regimes und wie man dagegen arbeiten kann…

Bis wir an einem kollektiven Nihilismus angelangt sind, wird es wohl noch etwas dauern; ich bin aber guter Dinge, dass es nicht soweit kommen wird.

War dir ein „reines“ Solo-Release zu langweilig oder warum hast du dir so viel Zeit dafür genommen?

Ohne das Theaterstück hätte es wahrscheinlich kein Solo-Release gegeben – ich brauchte einfach diese Story drumherum, die mir die Möglichkeit gegeben hat, meine gesamte Gedankenwelt so aufzubauen, dass ich für mich selber das Gefühle haben, darin auch als Solo-Künstler meine Berechtigung zu haben. Dann ging eigentlich alles ziemlich schnell, zumindest für meine Verhältnisse. (lacht) Ich glaube die EP ist innerhalb eines halben Jahres entstanden, während ich am Theaterstück fast eineinhalb Jahre gesessen habe.

Du hast dich in einem Interview mal als „komplett unmusikalisch“ bezeichnet und es wäre cooler für dich, etwas ins Kollektiv mit reinzubringen. Was hat sich über die Jahre bei dir als Künstler geändert, so dass nun deine Solo-EP draussen ist?

Wie gesagt – vorher war einfach die Story nicht da. Ich glaube, dass ich inzwischen weiß, was ich als Solo-Künstler aussagen will und wofür ich stehen möchte. Es hat einfach eine zeitlang gedauert, bis auch bei mir im Kopf die Einstellungen und Ideen entstanden sind, die mich zu „Lara“ geführt haben.

Wie war das Arbeiten an der EP, die sowohl ein eigenständiges homogenes Release als auch ein Soundtrack zum Theaterstück darstellt?

Die Songs sind parallel zum Theaterstück entstanden. Das war eine willkommene Abwechslung und hat mir auch geholfen, tiefer in die Gefühlswelt der Charaktere einzutauchen. Die Idee für „Tanzen“ kam mir zum Beispiel ganz zum Schluss, als wir an der letzten Szene des Stücks gearbeitet haben. Vielleicht muss ich jetzt immer ein Theaterstück schreiben, wenn ich Songs machen will… (lacht)

Die EP klingt so modern und besitzt genügend Hip-Hop Elemente. Hast du nie daran gedacht, „klassischere“ Theatersongs mit Band/Orchester aufzunehmen? Wie passt der Sound dieser EP in ein klassisches Theater?

Doch, die Idee eines Live-Sets mit Band war schon da, ist aber letztlich an den Kosten gescheitert. Wenn wir irgendwann in einem staatlich bezuschussten Schauspielhaus spielen, können wir da gerne nochmal drüber reden – Dom und Elias (die beiden Produzenten von „Lieder über Lara“) wären dann auch jederzeit dabei.

Der Sound passt zwar augenscheinlich erstmal gar nicht in ein klassisches Theaterstück, aber genau deswegen ist er goldrichtig. Die Leute sind schon recht verblüfft, wenn nach Louis‘ langem Eröffnungsmonolog erstmal ein Typ auf die Bühne kommt, einen 16er rappt und sich als „der große fucking Gatsby“ vorstellt – und das ist genau der Punkt, an dem du sie haben willst. Wenn du jetzt ein paar schlaue Sachen sagst, dann bleiben sie im Kopf.

Zum Abschluss hätten wir noch ein paar Fragen, die wir jedem Künstler stellen und einige Sätze zum Vervollständigen. Wo und was gehst du am liebsten in Köln essen?

Im „Lizbät“ in Ehrenfeld, herzhafte und süße Crêpes für jeden Geschmack, vor allem auch vegetarisch und vegan.

Welches Buch hast du zuletzt gelesen?

Schön dass du fragst. Ich lese im Moment sehr viel feministische Literatur, sowohl Prosa (“The Handmaid’s Tale” von M. Atwood) als auch Sachbücher (“Vergewaltigung” von Mithu Sanyal). Habe schon häufiger überlegt, feministische Literatur auf unserem Youtube-Channel zu besprechen, das wäre mal was Neues im Deutschrap-Game… (lacht)

„The Handmaid’s Tale“ ist ja inmitten der zweiten Frauenbewegung und die Serienverfilmung kurz nach der Wahl Trumps erschienen. Siehst du Parallelen?

Sowohl strukturelle Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen als auch die Entstehung und Entwicklung eines totalitären Regimes sind zentrale Themen des Buches. Ich finde es damit extrem aktuell – so wie man in vielen Blog-Artikeln und sogar auf Instagram-Sprüche-mit-Bild-Posts inzwischen wieder häufiger Hannah Arendt-Zitate liest.

Natürlich ist “Handmaid’s Tale” eine dystopische Fiktion, aber trotzdem haben wir jetzt in einer der mächtigsten Nationen der Welt einen Regierungschef, der ein ganz unverblümt misogynes Verhalten an den Tag legt, und die Konsequenzen für ihn sind erschreckend gering. Die Serie zum Buch habe ich selbst noch nicht gesehen, sie soll aber sehr gut sein – vielleicht kann man dadurch und davon inspiriert auch mit einer breiteren Masse an Menschen zu diesem Thema einen Diskurs beginnen. Ich würde es in jedem Fall sehr begrüßen.

5 Minuten vor der Show…

…gehe ich alle Texte zum hundertsten Mal durch. Ich konnte meine Aufregung über die Jahre nie so ganz ablegen.

5 Minuten nach der Show…

…sitze ich wahrscheinlich völlig fertig in der Garderobe, weil die Anspannung abfällt.

Ein Hörspiel über mein Leben sollte gesprochen werden von…

Wenn du Elias fragst, auf jeden Fall nicht von mir selbst! Wenn du wüsstest, wie lange wir gebraucht haben, bis er mit meinem Track-By-Track zufrieden war… (lacht)

Von wem denn dann?

Dann vielleicht von Oliver Rohrbeck, der Stimme von Justus Jonas von den drei Fragezeichen. So ein etwas besserwisserischer Ton passt sicher gut zu meiner Autobiographie. (grinst)

Dort, wo ich herkomme, ist das Wichtigste…

…dass man das, was man sagt, auch so meint. Gilt für das kölsche Hätz, die Deutschrap-Szene und meinen Freundeskreis.

Conny (Der Plot) – „Lieder über Lara“ // Spotify Stream

Aufführungstermine: „Lieder über Lara“

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Im metropol Theater Köln. Das Theaterstück findet an folgenden Tagen statt:

Oktober:

Mo, 08.10.2018 19:00
Di, 09.10.2018 19:00
Mo, 29.10.2018 19:00
Di, 30.10.2018 19:00

November:

Mo, 26.11.2018 19:00
Di, 27.11.2018 19:00

Dezember:

Di, 11.12.2018 19:00
Mo, 17.12.2018 19:00
Di, 18.12.2018 19:00

Januar:

Fr, 18.01.2019 20:00
Sa, 19.01.2019 20:00
Fr, 25.01.2019 20:00
Sa, 26.01.2019 20:00

Februar:

Do, 14.02.2019 20:00
Fr, 15.02.2019 20:00

Album Cover + Tracklist

conny-lieder-ueber-lara-ep_cover

01. Gatbsy
02. Suchen & Finden
03. Balkon
04. Vom Vergessen
05. Pflaster
06. Tanzen

Der Beitrag „Ich glaube, dass Egoismus und Selbstverwirklichung heute in der Tat einen anderen Stellenwert haben“ – Conny (Der Plot) im Artist Feature #172 erschien zuerst auf RAP-N-BLUES.com.


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