Aus Big Pillath wurde „Onkel Pillo“ – lohnt sich der regelmäßige Kontakt zur Verwandtschaft oder macht man es doch nur aus Anstand? Wir haben für euch einmal in das Album hineingehört. Hier unsere Eindrücke.
Einleitung
Gleich zu Beginn oute ich mich einmal als einstiger Snaga & Pillath-Fan. Wer mit mir vor neun Jahren an der Splash! Hauptbühne und wenig später an der MZEE-Bühne gestanden hat, kann dies sicherlich nachvollziehen. Dipset hin oder her. Bis zum ersten richtigen Album der beiden Ruhrpotter prägte Pillath mit seinen trockenen Sprüchen und grobschlächtigen Freundlichkeit für mich stets mehr das Image des Duos als Snaga es zu dieser Zeit getan hat. Mit der zunehmenden Ernsthaftigkeit verlagerte sich diese Wahrnehmung mehr und mehr auf die Seite des Gladbeckers.
Ich hatte die Hoffnung ehrlich gesagt schon aufgegeben, dass ich jemals wieder etwas Musikalisches auf Albumlänge von Pillath hören würde. Nun sechs Jahre nach „II“ halte ich das erste Solo-Album von Pillath in den Händen. Also dann: tauchen wir in die Welt des Schalkers Prachtkerl ein!
Album Facts
- 18 Tracks | 55 Minuten
- Features: Re:, Fard, Manuellsen, Snaga und Phil Woody
- Produced by Abaz, Joshimixu, Juh-Dee und Gorex
- Released by Ruhrpott Elite
- Releasedate: 26. Februar 2016
Review
Nun, auf „Onkel Pillo“ kommt definitiv nicht Big Pillath zu Wort. Der Rapper klingt zum ersten Mal nach Oliver Pillath. Zwar gab es mit „Einen Tag“ und „Hol mich raus“ in der Vergangenheit bereits schamlos ehrlich Tracks, aber wirkten sie im Gesamtbild zu ihren berühmt berüchtigten Punchlinetracks etwas zu heterogen. Eher wie ein „Pflicht-Track“. Offenbar hat ihm die Auszeit bzw. das vorzeitige Karriere-Ende richtig gut getan. Wenn wunderts, als Teamleiter von einer der führenden Firmen im Sales und Retention Bereich ist das Leben nicht mehr ausschließlich Inspirationsgrundlage für Lines wie „Mein Sack freut sich und er singt: Oh my lord, kumbaya!“ oder „und sie schreien: Bitte steck mir deinen Pimmel in den Arsch/ denn ich ficke, wie ich kacke, etwas länger als normal“. Und trotzdem besitzt die LP vieles „S&P“-eskes – vor allem thematisch.
Es beginnt mit dem obligatorischen Intro und dem darauffolgenden und ebenso zu erwartenden „Ich-bin-wieder-da“-Track, „Der macht datt gut“. Dazu gesellt sich der vorab veröffentlichte Titeltrack. Standen solche Representer zu Zeiten von S&P noch unter dem Stern von druckvollen Beats, trockenen Sprüchen mit Malocher-Charme und aggressiven Stimmen, sind sechs Jahre später nur die Sprüche übrig geblieben.
Guck, mein Gehalt hat keine Obergrenze /Den Unterschied zwischen dir und mir erkennt man erst am Monatsende“ „Während ich ein’ Riesenumsatz zelebrier’ / Denkst du dir: „Korrekt, Bruder, morgen gibt’s Hartz IV!“
Der Betriebsgewinn ist womöglich der Grund dafür, dass der „Wow“-Effekt aus seinen Sprüchen verschwunden ist. Der frühere Unterhaltungswert von Pillath in solchen Tracks gedieh wohl aus dem abendlichen Hochschaukeln unter Freunden, für das er heute eben weniger Zeit hat. „Etwas Gutes“ ist wohl das Ergebnis aus der Reflektion seines stressigen Alltages und der erste Anspielpunkt mit Inhalt auf dem Album. Es geht um Wertschätzung – „Was ist schon der Stress einer langen, lauten Schicht / Gegen die Umarmung deiner Kinder, wenn du dann zuhause bist?“ Eine neue interessante Facette des Schalkers, die aber durch das uninspirierte Instrumentals und der Gesanglinie, die sich lediglich an Melodie des Beats orientiert, von Re: eher zu einem der schwächeren Tracks mutiert.
Ab dann gewinnt „Onkel Pillo“ mit laufender Spieldauer an Entertainment. Irgendwann sind die Beats innovativer, die Geschichten besser durchdacht und die Sprüche wieder politisch unkorrekt. Beste Beispiel sind seine großartig inszenierten Zeilen auf „Wenn der Schnee schmilzt siehst du wo die Kacke liegt“, „Rapshit“ und „Kein Problem“ , wo es heißt:
Damals hasstest du die Schule, sagtest Mama: „Alle mobben mich /Und behaupten, für mein Alter wär’ mein Kopf zu dick!“ / Mama sagte: „Das stimmt doch so nicht! / Jetzt nimm deine Mütze, geh in’ Keller und bring’ 15 Pfund Kartoffeln mit!“
Wenn es um die Hooks geht, sind es vor allem die einfach gehaltenen, die überzeugen. Seien es die Scratches inkl. den eigenen zerstückelten Lines („Rapshit“) oder ein einfaches „Däng-dä-dä-däng-dääääng“ („Kein Problem“) – wieso weltmännisch, wenn der Menschenschlag des Ruhrgebietes stolz auf ihre Arbeit und Tradition ist? Die screwed & chopped Hook mit „Komm mit“-Sample auf „Prinz des Potts“ ist zudem noch hypnotisch und lässt einen an vergangene Tage zurückerinnern. Selbiges gilt für Lines wie „Mich zu batteln ist riskant wie Schlaf- und Abführmittel gleichzeitig nehm’“ („Mit mir zu ficken is gefährlich wie beim Durchfall zu husten“ – Snaga auf „Snaga Situation 5“).
„P.S. SP“ fährt sehr indisch anmutende Klänge auf und bestreitet alles mit dem angesprochenen Malocher-Charme. Das Zusammenspiel zwischen Pillath und Snaga, der ebenfalls wieder sichtlich Spaß am Sprücheklopfen hat und mit seinen ersten vier Zeilen ein heißer Anwärter auf die Punchlines des Jahres ist, ist (wieder einmal) ganz großes Kino! Der Track hat vieles, das bereits in den Schrebergärten mit Deutschlandfahnen breitgetreten wurde, aber niemals langweilig wird.
Etwas zerrissener bin ich da bei den einfühlsameren Zwischenspielen. Bisher punktete Pillath bei solchen Tracks nicht nur durch eine poetische Sprache oder was die Gesellschaft unter Musikalität versteht. Die punktuell gut gesetzten Tracks wie „Pillath Skit“, „Keine Zweifel“ oder die eingangs erwähnten „Einen Tag“ oder „Hol mich raus“ bestachen durch ihre direkte Sprache und dem gewollten Gegensatz von bedrückenden Themen und Instrumentals, die trotzdem scheppern. All das erzeugte eine Art Dramaturgie, fast schon einen „Schock-Moment“ bei mir. Diese Mechanismen kommen auch auf „Letzter Moment“ und „Mein letzter Song“ zum Tragen. Als jemand der Pillath neu für sich entdeckt hat, sind diese Tracks mindestens genauso intensiv wie die damaligen für mich. Als langjähriger Verfolger seiner Kunst sind sie nur von kurzweiliger Unterhaltung. Erwähnenswert wäre hier noch „Kranke Welt“ mit Ruhrpott Elite und Kumpel Fard. Es ist der dringende Wunsch nach Veränderungen durch das Aufwerfen von Fragen und der direkten Konfrontation. Während es in der ersten Strophe um den Fall Fritzl, Freispruch für Edathy, Pornoclips mit kleinen Kindern, Amokläufen und häuslicher Gewalt geht, dreht sich die zweite hauptsächlich um den missverstandenen Glauben und Ausländerfeindlichkeiten. Der Beat, den man spontan mit den Worten „Street-Album“ oder „dichte Atmosphäre“ assoziiert und mit Fard als Feature in der Hook und jemand, der sich seit Beginn seiner Karriere mit Politik auseinandersetzt, lassen den Track zu einem absoluten Highlight werden. Die übrigen Tracks – das motivierende „Auf dem richten Weg“ und das Liebeslied „Licht in der Nacht“ – sind zwar keine Totalausfälle können aber den oft behandelten Themen keinen neuen Dreh mitgeben.
Noch ein Wort zum musikalischen Unterbau von Abaz, Joshimixu, Juh-Dee und Gorex: Das gesamte Album ist untermalt von einer Instrumentierung zwischen vertraut und fremdartig. Das bedeutet: Die gewohnten schweren Stampfer-Beats, die durchaus auf einem Snaga & Pillath-Album Platz gefunden hätten, und welche, die versuchen auf das jeweilige Gefühl des Tracks einzuzahlen. Letztere fahren das gesamte Arsenal an Streichern, Glocken und Gitarren auf. Auch die heutzutage eigentlich ausrangierten gescrewten Vocalsamples fehlen nicht. Wobei man sagen muß, dass Pillath dafür immer eine Vorliebe hatte und mit „Prinz des Potts“ daraus auch ein Highlight herausgesprungen ist. Musikalisch wurde hier viel herumexperimentiert und wenn der Beat an sich einen nicht sofort aus den Socken haut, für die passende Untermalung hat es allemal gereicht.
Fazit
„Onkel Pillo“ ist ein Comeback der besseren Art. Pillath hat sein Soll plus etwas mehr erfüllt. Er rappt mittlerweile nicht nur „Aus Liebe zum Spiel“, sondern auch aus Spaß an der Freude. Und das merkt man auch. Als Rapfan vermisse ich den letzten Hunger, der daraus entsteht, weil man einfach keine andere Wahl hat als zu rappen. Als Mensch in der Gesellschaft freue ich mich, dass er angekommen und sesshaft geworden ist. Pillath steht auch 2016 noch immer wie kaum ein anderer für den Ruhrpott und hat nichts von seinen regional bedingten Alleinstellungsmerkmalen verloren. „Onkel Pillo“ hat das Herz am rechten Fleck und ist der Teil einer Verwandtschaft, den man aufgrund seiner lauten, redseligen und etwas „vulgären“ Art und seinem Fußball-fanatismus sowie Trinkfestigkeit immer gerne besucht und nicht nur um Geld und Schokolade abzustauben.
Full Stream
Tracklist
01. Intro
02. Der macht datt Gut
03. Onkel Pillo
04. Etwas Gutes (feat. Re:)
05. Prinz des Potts (Tipp!)
06. Schlamm schieben (Skit)
07. Wenn Der Schnee schmilzt siehst du wo die Kacke liegt
08. Kranke Welt (feat. Fard) (Tipp!)
09. Rapshit
10. Auf dem richtigen Weg (feat. Manuellsen)
11. Kein Problem
12. One Way Ticket (Skit)
13. P.S. SP (feat. Snaga) (Tipp!)
14. Letzter Moment
15. Licht in der Nacht (feat. Phil Woody)
16. Mission Complete
17. Oh, war das schön (Skit)
18. Mein letzter Song
Album Cover
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